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Werkbeschrieb
Das Gemälde wird von Hans Bachmann 1892 für die Ausstattung des Verwaltungsgebäudes der Gotthardbahngesellschaft am Schweizerhofquai angefertigt. Es bildet das Pendant zum Gemälde „Gotthardpost im Sommer“ von Josef Kaspar Kaufmann und wird zusammen mit zwei kleineren Bildern mit den Titeln „Saumpfad am St. Gotthard“ und „Schöllenenschlucht mit Bahnhof Göschenen“ von Jost Muheim, dem Kunstmaler und Präsidenten der Kunstgesellschaft Luzern, im Sitzungssaal aufgehängt. Bachmann, Kaufmann und Muheim waren für diese Aufgabe aus einer Reihe anderer zeitgenössischer Luzerner Künstler wie Jean Renggli, Robert Zünd, Nikolaus Pfyffer und Jos Balmer auserkoren worden.
Bachmanns wie auch Kaufmanns Bild zeigen die Gotthardpost in voller Fahrt, obschon seit rund zehn Jahren der Gotthardbahntunnel erbaut war, die Gotthardpost ihren Betrieb am 31. Dezember 1881 eingestellt hatte und die Eisenbahn den Passagieren die beschwerliche, 23 Stunden dauernde Fahrt über den Gotthard ersparte. Dass ausgerechnet die Gotthardbahngesellschaft bevorzugte, ihr Sitzungszimmer mit nostalgischen Bildern der Pferdekraft zu schmücken, anstatt die neuen technischen Leistungen des „Dampfrosses“, die eigenen Errungenschaften der Gotthardbahn an prominenter Stelle zu preisen, mag
erstaunen. Mit dieser Themenwahl wurde ein Rückblick über die vor der Eisenbahn benutzten Verkehrsadern über den Gotthard gemacht. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Eisenbahn, sowie weitere Elemente der Industrialisierung, allgemein von den Malern nur zögerlich aufgenommen und meistens der aufkommenden Fotografie überlassen wurden. Höchst wahrscheinlich ist diese Themenwahl zudem auch in Anlehnung an die berühmte, von Rudolf Koller gemalte Gotthardpost von 1873 (seit 1898 im Kunsthaus Zürich) zu sehen, die im Auftrag der Direktion der Schweizerischen Nordostbahn, zur Verabschiedung des Eisenbahnpioniers und Initiant des Gotthardtunnels Alfred Escher als Geschenk überreicht wurde.
Bachmanns Gemälde zeigt die typischen Einspänner-Schlitten der Gotthardpost, ausgestattet mit zwei Sitzplätzen, die seit ca. 1850 jeweils im Winter zum Einsatz kamen, wie sie den Gotthardpass herunterfahren. Das Trassee, das zu jener Zeit mit Hilfe eines Ochsen geschaffen wurde, der einen Baumstamm hinter sich herzog und den Schnee platt drückte, schlängelt sich gefährlich nahe dem Abhang den Berg herunter. Wenn der Schnee hoch lag, mussten zusätzlich zum Ochsen auf beiden Seiten des Passes jeweils 100 Mann zur Schneeräumung bereitstehen. Einer dieser Männer steht neben dem zweiten Schlitten, der von einem Schimmel ins Tal gezogen wird, mit seiner Schaufel am Strassenrand. Um die Geschwindigkeit der Postkutsche erfahrbar zu machen, liess Koller in seinem Gemälde der Gotthardpost neben die zu Tal rasende Kutsche eine Herde stehende Kühe aufstellen. Bachmann greift diesen Kontrast von Tempo und Stillstand auf und stellt dem vordersten, zu Tal sausenden Schlitten einen Säumer mit beladenem Maultier zur Seite, die dem Schlitten ausweichen mussten.
Es ist nicht der erste Schlitten, der in diesem Wintertag über den Gotthard fährt, reger Verkehr herrscht auf der engen Strasse auf der Höhe des Kätteli. Bereits andere Kufen haben ihre Spuren im leicht bräunlich verfärbten Schnee hinterlassen und Pferdeäpfel sind liegen geblieben. Viele Schlitten folgen noch und befördern die Reisenden in schnellem Galopp zu Tal. Die rasante Fahrt lässt den wärmenden Pelz, welcher der feinen Gesellschaft im vordersten Schlitten über die Beine gelegt ist, im Wind flattern. Der Kutscher trägt den offiziellen Uniformrock der Gotthardpost und die dahinter sitzende Gesellschaft ist warm eingepackt. In den zeitgenössischen Zeitungsberichten wird gemutmasst, dass es sich bei dem jungen Paar um einen deutschen Professor und seine frisch Anvertraute handelt, die von ihrer Hochzeitsreise in Italien zurückkehren. Die Berichterstatter sind lauter lobender Worte für die „vorzügliche Behandlung des Schnees“, der fein abgetönt ist und heben die sehr treffend wiedergegebenen Verkürzungen der Pferde hervor. Die Direktion sah sich im Anschluss an die positiven Meldungen in den deutschen Zeitungen, sowie auf Anstoss vom Künstler selber, dazu veranlasst, Bachmanns ursprüngliches Honorar von 1800.- auf 2000.- Schweizer Franken anzuheben. Für die beiden anderen Kunstmaler Kaufmann und Muheim blieb es beim vereinbarten Betrag.
Wenig nach der Fertigstellung des Gemäldes wird es im Sommer 1892 erstmals anlässlich der Kunstausstellung im Rathaus dem grossem Publikum gezeigt, nachdem im Luzerner Tagblatt vom 17. August 1892 zu lesen war: „Es wäre sehr zu begrüssen, wenn die Gotthardbahndirektion die Besichtigung dieser Kunstwerke auf einige Zeit einem weitern Publikum zugänglich machen würde.“ 1909, im Jahr der Überführung der Gotthardbahn in die neu gegründeten Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), wird der Kunstgesellschaft Luzern die Erlaubnis erteilt, die Werke von Bachmann und Kaufmann für eine weitere Periode im Rathaus zu zeigen. Zehn Jahre später gibt die Kunstgesellschaft der SBB die Bilder aus Platzgründen zurück. Anschliessend hängt Bachmanns Gotthardpost bis 1922 im Büro des Luzerner Kreisdirektors Schrafl, der es in seinem Umzug an den Sitz der SBB in Bern mitnimmt. 1945 ersucht Dr. Paul Hilber Bachmanns Werk der Gotthardpost für eine geplante Ausstellung zu innerschweizerischen Künstlern („H. Bachmann, A. Fellmann, F. Stirnimann, Jos. Zelger“) erneut ausleihen zu können. Um es nicht unnötigen Transportrisiken auszusetzen, aber auch weil das Bild historisch nach Luzern gehört, schlägt das Luzerner Kreisbüro der Generaldirektion der SBB vor, es auch anschliessend an die Ausstellung der Luzerner Kreisdirektion zu überlassen. 1999 schliesslich wird das Luzerner Kreisbüro geschlossen und nach einer erneuten Anfrage seitens des Kunstmuseums Luzern gelangt Bachmanns „Gotthardpost im Winter“ 2003, rund hundert Jahre nach der ersten Leihgabe an die Kunstgesellschaft, als Depositum der „Stiftung historisches Erbe der SBB“ in die Sammlung des Kunstmuseums Luzern.
Anne-Laure Jean
Provenienz
www.sbbhistoric.ch
Eingangsjahr:2003
Ausstellungsgeschichte
Schnee, Land und Leute: Gemälde von Anker bis Emmenegger aus der Sammlung, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 07.02.2004 - 18.04.2004
"Creusez les Alpes, qu'on voie la mer!" - le Tunnel du Simplon - 1898-1906, Lausanne, Musée historique de Lausanne, 12.09.2008 - 25.01.2009
H. Bachmann, A. Fellmann, F. Stirnimann, Jos. Zelger, Luzern, Kunstmuseum Luzern, 07.10.1945 - 25.11.1945
Innerschweiz. 11. Gemäldeausstellung Trubschachen, Trubschachen, Kulturverein Trubschachen, 23.06.1984 - 15.07.1984
Von früh bis spät. Bilder des Alltags aus der Sammlung des Kunstmuseums Luzern, Luzern, 04.03.2017 - 26.11.2017
Literatur
Trubschachen, Kulturverein Trubschachen (Ausst.-Kat.), Innerschweiz. 11. Gemäldeausstellung Trubschachen, 1984
Hilber, Paul, Hans Bachmann. Leben und Werk des bedeutenden Schweizer Malers, mit einer Einführung von Adolf Ribi, Zürich: Fraumünster-Verlag AG, 1949
Luzern, Kunstmuseum (Ausst.-Kat.), H. Bachmann, A. Fellmann, F. Stirnimann, Jos. Zelger, Text von Dr. P[aul] H[ilber], Luzern: Kunstmuseum, 1945
Luzern, Kunstgesellschaft Luzern (Slg.-Kat.), Katalog der Kunstwerke in Rathaus in Luzern, Luzern: Kunstgesellschaft Luzern, 1916