In den Fotografien „Untitled 1“ und „Untitled 2“ (KML 98.9q und 98.10q) von 1998 hat Welling mit der Abbildung einer frontal fotografierten Draperie ein Sujet wieder aufgenommen, das bereits 1981 Thema seiner Arbeiten war. Im Vergleich zu diesen („The Waterfall“, „In Search of…“ und „Island“) sind die zerbröckelten weissen Plättchen verschwunden, die im Vordergrund verstreut auf dem Tuch lagen. Auch hat Welling nun auf assoziative, metaphorische Titel verzichtet. Der Stoff ist nicht länger Hintergrundstaffage oder Teil einer figurativen Nachbildung einer Landschaft, sie verweist nicht auf etwas Weiteres, reell Existierendes, sondern wird in den Vordergrund gerückt und ist unmittelbarer Gegenstand. Der drapierte Samtstoff breitet sich über die gesamte Bildfläche aus und verhüllt die Tiefe. Er wirft gerundete und aber auch zu schmalen Kanten geformte, eckig gebrochene Falten auf, die diagonal übers Bild verlaufen. Vergleichbar mit Studien zum Faltenwurf in der bildenden Kunst, im Speziellen in der spätgotischen Grisaille-Malerei, in welcher die Gewänder meisterlich einzig durch eine Abstufung von hellen und dunklen Grautönen modelliert werden, konzentriert sich Welling bei diesen Fotografien ganz auf die Wiedergabe des Materials, auf die Oberfläche und deren Modellierung durch Licht und Schatten. Das Ziel beider Vorgänge, des bildenden wie auch des abbildenden, ist es, eine wirklichkeitsgetreue, täuschend echte Stofflichkeit zu erreichen. Die schmalen Falten stechen in Welling Fotografie als helle Grate hervor, währenddem bei den eher runderen Falten das Licht fleckiger reflektiert wird. Der Stoff ist so nah heran gezoomt, bis die Faserstruktur erkennbar ist und die Stofflichkeit des Gewebes praktisch haptisch erfahrbar wird.
Anne-Laure Jean