Der am 28. Mai 1810 in Vevey geborene Alexandre Calame wächst als Sohn eines Steinhauers in ärmlichen Verhältnissen auf. Im Alter von zehn Jahren verliert er bei einem Unfall ein Auge. 1824 zieht die Familie nach Genf. Durch den frühen Tod seines Vaters gezwungen, seinen Lebensunterhalt und den der Mutter zu bestreiten, betätigt Calame sich im Kolorieren von Veduten. Sein künstlerisches Talent bleibt allerdings nicht lange unerkannt. Als Neunzehnjähriger bricht er seine Banklehre ab und beginnt eine künstlerische Ausbildung im drei Jahre zuvor eröffneten Atelier des Alpenmalers François Diday (1802–1877). Nachdem eine Reise ins Berner Oberland seine Begeisterung für die Bergwelt geweckt hat, beschliesst Calame, sich fortan ganz der Alpenmalerei zu widmen. Wie sein Lehrer, mit dem er nun in ein Konkurrenzverhältnis tritt, verschreibt er sich einer romantisch-pathetischen Auffassung der Landschaftsmalerei, die die Gemüter der Betrachter bewegen soll. Er bevorzugt mächtige Gebirgsformationen und wählt Aussichtspunkte, die beeindruckende Weitblicke in tiefe, unberührte Täler oder auf stille Seen erlauben. Nicht selten jedoch wird dem Betrachter die attraktive Aussicht durch knorrige, entwurzelte Bäume – Sinnbilder der Urgewalt der Natur und Symbol der Vergänglichkeit – versperrt.
Bereits 1837 kann Calame am Pariser Salon grosse Erfolge verbuchen, wovon eine goldene Medaille 2. Klasse und im Jahr darauf eine Goldmedaille 1. Klasse zeugen. Als er 1844/45 nach Italien fährt, bewundert er die beiden französischen Klassizisten Nicolas Poussin (1594–1665) und Claude Lorrain (1600–1682), wobei vor allem die lichtdurchwirkten arkadischen Landschaften des letzteren bei Calame einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Die künstlerische Produktivität in Italien ist hingegen ziemlich begrenzt und die Schweiz mit ihren Alpen und Seen bleiben klar Calames bevorzugtes Bildmotiv. In anstrengenden Gebirgstouren, die dem eher schwächlichen Calame einiges abverlangt haben mögen, sucht er nach unberührten Regionen, Winkeln, und nach Höhen, die die gewünschte Aussicht gewähren. Dabei umgeben ihn eine ganze Schar wanderfreudiger Schüler, unter ihnen auch der Luzerner Maler Robert Zünd. Mit zunehmendem Alter werden ihm diese Wanderungen zu beschwerlich und er malt vermehrt in tieferen Regionen, hauptsächlich am oberen Vierwaldstättersee mit den Ortschaften Brunnen und Seelisberg. Mit folgenden anrührenden Verszeilen, auf der Leinwandrückseite einer Studie angebracht, verabschiedet er sich 1862 von der lieb gewonnen Hochgebirgslandschaft: "Il faut faire mes adieux,/O mes Alpes chéries,/Beaux lacs, pentes fleuries,/Neiges qui brillez dans les cieux." An der Riviera verhofft er sich Linderung von seiner tödlich verlaufenden Brustkrankheit. Im Alter von dreiundfünfzig Jahren verstirbt der Maler am 17. März 1864 in Menton, Frankreich.
Calame gilt als berühmtester Alpenmaler seiner Zeit, ein Urteil, das im Hinblick auf seine internationale und äusserst finanzkräftige Klientel durchaus seine Berechtigung hat. Neben Louis Philipp und Napoleon III gehören auch der Grossfürst Michael von Russland sowie Adlige und Grossbürger aus Deutschland und England zur Käuferschaft seiner Gemälde. In Paris verkauft der bekannte Kunsthändler Durand-Ruel seine Werke auf Bestellung. Die touristische Bedeutung der Schweizer Landschaft wächst im 19. Jahrhundert stetig, wodurch sich auch das Bedürfnis nach bildlichen Darstellungen intensiviert. Calame kommt mit seiner romantischen Naturverbundenheit und Bewunderung der Berge der Mentalität ausländischer, begüterter Schichten sehr entgegen. Um die grosse Nachfrage des Publikums zu befriedigen, wird er jedoch zunehmend zu einer routinierten Massenproduktion genötigt. Von vielen seiner Motive malt er mehrere Repliken und ausserdem verbreitet er seine Bildsujets mittels radierter und lithographischer Arbeiten. Arnold Böcklin (1827–1901), der für kurze Zeit Calames Schüler gewesen ist, meint lakonisch, dass dieser vielfach nur aus Geschäftstüchtigkeit gemalt habe. Dementsprechend gross ist das von ihm überlieferte Oeuvre. Die grossformatigen, komponierten Ölbilder, die die Natur in ihrer Zeitlosigkeit und Grösse wiederzugeben versuchen, widersprechen allerdings den neueren Errungenschaften der Freilichtmalerei und der Schule von Barbizon und werden, auch aufgrund der Serienproduktion, ab den 50er Jahren zunehmend kritisiert. Seine vor Ort entstandenen Studien hingegen, die der Künstler freilich als "Etüden", also eine Art Fingerübung taxiert, werden ihrer Frische und Unmittelbarkeit wegen ab der Jahrhundertwende hochgeschätzt. Es ist jedoch falsch, Calames Bedeutung allein in den kleinen Formaten zu sehen. Deshalb bemüht sich die heutige Forschung um eine differenziertere Betrachtungsweise, wodurch der Gestalt des zwischen Künstler- und Unternehmertum schwankenden Alexandre Calame besser Rechnung getragen wird.
Regine Fluor-Bürgi
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Bernasconi, Maria, Testtitel mit Fragezeichen. Testuntertitel, hrsg. von Hans Muster und Berta Musterin, Luzern, Poschiavo: Edizioni Periferia, 2003 (Schriften zur Musterforschung, Bd. 13)
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Luzern, Kunstmuseum Luzern (Ausst.-Kat.), Landpartie - Die Sammlung des Kunstmuseums Luzern auf Reisen im Kanton, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Theo Kneubühler, Ulrich Loock und André Rogger, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1998
Oberholzer, Niklaus, "Papier und Bleistift - oder mehr?", in: Neue Luzerner Zeitung, Nr. 252, 31. Oktober 1998, S. 50
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