Oscar Lüthy, 10 Einträge
Der am 26. Juni 1882 in Bern geborene Oscar Lüthy lässt sich an der Kunstgewerbeschule in Bern zunächst zum Architekten ausbilden. Nach einem kurzen Praktikum auf einem Baubüro und bei einem Ingenieur zieht der 21-Jährige sich in die Walliser Berge zurück. Während der vier Jahre dauernden Abgeschiedenheit, die er zeitweise mit dem älteren Landschaftsmaler Hans Beat Wieland teilt, entstehen als erste Malversuche dunkeltonige Gebirgslandschaften. Durch Schwarz-Weiss Reproduktionen auf Giovanni Segantini aufmerksam gemacht, findet ein Übergang zur Freilichtmalerei statt. Vom Vorbild übernimmt er vorübergehend die divisionistische Formensprache.
Diese längere autodidaktische Phase wird durch ein zehnmonatiges Studium bei Hans Lietzmann in München beschlossen. Es folgt ein Aufenthalt in Luzern und Weggis, wo er den Kontakt zu anderen, gleichaltrigen Künstlern findet und Freundschaft mit Otto Meyer-Amden und dessen Kreis schliesst. Zusammen mit Hans Arp und dem etwas älteren Walter Helbig gründet Lüthy um 1910 die Künstlergruppe "Moderner Bund". Die dieser Vereinigung beigetretenen Künstler – neben den Gründungsmitgliedern sind dies anfangs Wilhelm Gimmi und Hermann Huber – verfolgen kein einheitliches, künstlerisches Programm. Alle haben jedoch Kontakte zu den avantgardistischen Bewegungen in Deutschland und Frankreich und setzen sich für die Bekanntmachung und Verbreitung der neuen künstlerischen Strömungen ein. Da Helbig mit seinem Umzug in die Schweiz beschäftigt ist, überträgt er Lüthy die Organisation der ersten Ausstellung des Modernen Bundes, die 1911 im Grand Hotel du Lac in Luzern stattfindet. Deren Hauptakzent liegt, neben den Mitgliedern der Gruppe, auf den ausgestellten französischen Malern, darunter Paul Gauguin und die Kubisten Auguste Herbin und Pablo Picasso. Das vom Bund im folgenden Jahr herausgegebene Heft mit Holzschnitten und Reproduktionen ist die erste Publikation abstrakter Kunst in der Schweiz. Ende 1913, Anfang 1914 löst sich die Gruppe, die individuell stark unterschiedliche Formensprachen verfolgt hat, bereits wieder auf.
Die Wintermonate seiner Mitgliedjahre beim Modernen Bund verbringt Lüthy jeweils in Paris, wo er sich formal mit Paul Cézanne sowie mit Picasso und Georges Braque auseinander setzt. Insbesondere der analytische Kubismus und dessen Formensprache werden vorbildhaft in Lüthys künstlerischem Werk. Besonders anschaulich wird dies in der "Variation zur Pietà von Avignon", 1913, dem ersten Hauptwerk des Künstlers (Kunstmuseum Bern, Rupf-Stiftung). Das im Louvre ausgestellte Gemälde aus der Mitte des 15. Jahrhunderts wird durch die formalen Mittel des Kubismus neu bearbeitet und in ein System geometrisierter Teilflächen zerlegt. Dabei bewahren die Figuren, insbesondere die Christusfigur, eine relativ hohe Gegenständlichkeit.
Auf einer Studienreise durch Italien, die ihn nach Venedig, Padua und Florenz führt, kommt es zur richtungsweisenden Begegnung mit den Werken Giottos und Leonardo da Vincis. Insbesondere Giottos Kunst bedeutet für ihn eine Offenbarung des Überirdischen. Dessen Fresken übernehmen in Lüthys Augen eine Vermittlerfunktion zu einer anderen Welt. Die religiösen Bildthemen, in deren Wahl er sich durch Giotto bestärkt fühlt, wird er nun immer wieder in seinem Schaffen aufgreifen.
Zurück in Zürich unterhält Lüthy Kontakt mit den Dadaisten, unterschreibt 1920 sogar deren Manifest in Berlin. Eine enge Beziehung zu Otto Meyer-Amden sowie der Kontakt zur Anthroposophie Rudolf Steiners und zur christlichen Mystik – er schreibt sogar selber einige christliche Hymnen – bleibt jedoch werkbestimmend. Neben einer Gestaltung nach der Natur, worin sich eine diesseitige Sinnenfreude ausdrückt, überwiegen in Lüthys Werk von nun an die mystischen Tendenzen. Die Stofflichkeit entgleitet und löst sich in durchlichtete Farbkristalle auf, wobei der Künstler sich einer geometrisierend, abstrahierenden Formensprache bedient, die nur äusserlich mit dem Kubismus vergleichbar ist. Die stereometrischen Grundelemente erfahren eine Art prismatische Aufsplitterung in die Formen des Kristalls, die Träger eines entmaterialisierenden Lichts werden. "Doch war der Kubismus von damals nicht mein Kubismus, denn ich trug doch meine eigene Melodie in mir. Mein Kubus wurde zum Kristall, in dessen Facetten ich das Bergesleuchten wiederfand" (Oscar Lüthy, Vorwort Ausstellungskatalog Kunsthaus Zürich 1944).
Weitere Hauptwerke des Künstlers sind ein Triptychon mit der Anbetung, 1925, die "Wachtraumbilder", 1928, die Collageelemente beinhalten, sowie "Christus zwischen zwei Engeln", 1941-43, worin die Farbe vollends zum mystisch verhüllenden Schleier wird.
Lüthy stellt seine Werke nicht häufig aus, kann sich aber dank zahlreicher Aufträge durch Privatpersonen und vor allem durch kirchliche Institutionen ein finanzielles Auskommen sichern. Es gibt von Oscar Lüthy, der zur Zeit des Modernen Bundes noch als vielversprechendes Talent gilt, noch heute keine Monographie, vermutlich da er der Forschung, um mit Klees Worten zu sprechen, doch "etwas stark schillernd und perlmutternd" (Paul Klee, Tagebuchaufzeichnung 1912) vorkommen mag.
Regine Fluor-Bürgi
Diese längere autodidaktische Phase wird durch ein zehnmonatiges Studium bei Hans Lietzmann in München beschlossen. Es folgt ein Aufenthalt in Luzern und Weggis, wo er den Kontakt zu anderen, gleichaltrigen Künstlern findet und Freundschaft mit Otto Meyer-Amden und dessen Kreis schliesst. Zusammen mit Hans Arp und dem etwas älteren Walter Helbig gründet Lüthy um 1910 die Künstlergruppe "Moderner Bund". Die dieser Vereinigung beigetretenen Künstler – neben den Gründungsmitgliedern sind dies anfangs Wilhelm Gimmi und Hermann Huber – verfolgen kein einheitliches, künstlerisches Programm. Alle haben jedoch Kontakte zu den avantgardistischen Bewegungen in Deutschland und Frankreich und setzen sich für die Bekanntmachung und Verbreitung der neuen künstlerischen Strömungen ein. Da Helbig mit seinem Umzug in die Schweiz beschäftigt ist, überträgt er Lüthy die Organisation der ersten Ausstellung des Modernen Bundes, die 1911 im Grand Hotel du Lac in Luzern stattfindet. Deren Hauptakzent liegt, neben den Mitgliedern der Gruppe, auf den ausgestellten französischen Malern, darunter Paul Gauguin und die Kubisten Auguste Herbin und Pablo Picasso. Das vom Bund im folgenden Jahr herausgegebene Heft mit Holzschnitten und Reproduktionen ist die erste Publikation abstrakter Kunst in der Schweiz. Ende 1913, Anfang 1914 löst sich die Gruppe, die individuell stark unterschiedliche Formensprachen verfolgt hat, bereits wieder auf.
Die Wintermonate seiner Mitgliedjahre beim Modernen Bund verbringt Lüthy jeweils in Paris, wo er sich formal mit Paul Cézanne sowie mit Picasso und Georges Braque auseinander setzt. Insbesondere der analytische Kubismus und dessen Formensprache werden vorbildhaft in Lüthys künstlerischem Werk. Besonders anschaulich wird dies in der "Variation zur Pietà von Avignon", 1913, dem ersten Hauptwerk des Künstlers (Kunstmuseum Bern, Rupf-Stiftung). Das im Louvre ausgestellte Gemälde aus der Mitte des 15. Jahrhunderts wird durch die formalen Mittel des Kubismus neu bearbeitet und in ein System geometrisierter Teilflächen zerlegt. Dabei bewahren die Figuren, insbesondere die Christusfigur, eine relativ hohe Gegenständlichkeit.
Auf einer Studienreise durch Italien, die ihn nach Venedig, Padua und Florenz führt, kommt es zur richtungsweisenden Begegnung mit den Werken Giottos und Leonardo da Vincis. Insbesondere Giottos Kunst bedeutet für ihn eine Offenbarung des Überirdischen. Dessen Fresken übernehmen in Lüthys Augen eine Vermittlerfunktion zu einer anderen Welt. Die religiösen Bildthemen, in deren Wahl er sich durch Giotto bestärkt fühlt, wird er nun immer wieder in seinem Schaffen aufgreifen.
Zurück in Zürich unterhält Lüthy Kontakt mit den Dadaisten, unterschreibt 1920 sogar deren Manifest in Berlin. Eine enge Beziehung zu Otto Meyer-Amden sowie der Kontakt zur Anthroposophie Rudolf Steiners und zur christlichen Mystik – er schreibt sogar selber einige christliche Hymnen – bleibt jedoch werkbestimmend. Neben einer Gestaltung nach der Natur, worin sich eine diesseitige Sinnenfreude ausdrückt, überwiegen in Lüthys Werk von nun an die mystischen Tendenzen. Die Stofflichkeit entgleitet und löst sich in durchlichtete Farbkristalle auf, wobei der Künstler sich einer geometrisierend, abstrahierenden Formensprache bedient, die nur äusserlich mit dem Kubismus vergleichbar ist. Die stereometrischen Grundelemente erfahren eine Art prismatische Aufsplitterung in die Formen des Kristalls, die Träger eines entmaterialisierenden Lichts werden. "Doch war der Kubismus von damals nicht mein Kubismus, denn ich trug doch meine eigene Melodie in mir. Mein Kubus wurde zum Kristall, in dessen Facetten ich das Bergesleuchten wiederfand" (Oscar Lüthy, Vorwort Ausstellungskatalog Kunsthaus Zürich 1944).
Weitere Hauptwerke des Künstlers sind ein Triptychon mit der Anbetung, 1925, die "Wachtraumbilder", 1928, die Collageelemente beinhalten, sowie "Christus zwischen zwei Engeln", 1941-43, worin die Farbe vollends zum mystisch verhüllenden Schleier wird.
Lüthy stellt seine Werke nicht häufig aus, kann sich aber dank zahlreicher Aufträge durch Privatpersonen und vor allem durch kirchliche Institutionen ein finanzielles Auskommen sichern. Es gibt von Oscar Lüthy, der zur Zeit des Modernen Bundes noch als vielversprechendes Talent gilt, noch heute keine Monographie, vermutlich da er der Forschung, um mit Klees Worten zu sprechen, doch "etwas stark schillernd und perlmutternd" (Paul Klee, Tagebuchaufzeichnung 1912) vorkommen mag.
Regine Fluor-Bürgi