Meret Oppenheim, 3 Einträge
Als Tochter eines deutschen Arztes und einer Schweizerin am 6. Oktober 1913 in einem bürgerlich-liberalen Haushalt in Berlin geboren und in Delémont und Basel aufgewachsen, bricht Meret Oppenheim als Achtzehnjährige die Schule ab, um sich in Paris zur Künstlerin auszubilden. Gemeinsam mit der vier Jahre älteren Künstlerin und Tänzerin Irène Zurkinden siedelt sie 1932 in die französische Hauptstadt über, wo sie, zwar nur unregelmässig, die Académie de la Grande Chaumière besucht. Wegweisend für ihre künstlerische Entwicklung ist die Bekanntschaft mit den Protagonisten des Surrealismus, die zu jener Zeit dieselben Pariser Strassencafés frequentieren. Von Alberto Giacometti und Jean Arp wird Meret Oppenheim eingeladen, am „Salon des Surindépendants“ auszustellen. Mit den Surrealisten teilt sie nicht nur die Bohème-Attitüde, sondern auch das Interesse an formalen Experimenten im Kunstschaffen; wenig anfangen kann sie hingegen mit den politischen Ansichten der Leute um André Breton. Die 1933 von Man Ray geschossenen Fotografien, die Meret Oppenheim nackt im Druckatelier von Louis Marcoussis zeigen, tragen zur Bildung der Legende von der „Surrealistenmuse“ bei; auch die etwa einjährige Liebesbeziehung zu Max Ernst festigt diesen Ruf. Ihren künstlerischen Ruhm begründet Oppenheim jedoch mit dem Objekt „Déjeuner en fourrure“ – der anspielungsreiche, sowohl auf Edouard Manets Gemälde „Déjeuner sur l’herbe“ als auch auf Leopold Sacher-Masochs Erzählung „Die Venus im Pelz“ verweisende Titel stammt von Breton –, das sie 1936 für eine Ausstellung schafft und das noch im selben Jahr vom Museum of Modern Art New York angekauft wird.
Die Pelztasse wird nicht nur schlagartig zu einer Ikone des Surrealismus und zur eigentlichen „Etikette“ der Künstlerin selber, ihr Datum markiert auch den Beginn einer langjährigen Schaffenskrise, die bis in die späten 1950er Jahre andauern wird. Finanzielle Schwierigkeiten, zunehmende Selbstzweifel und Arbeitshemmungen veranlassen Meret Oppenheim, in die Schweiz zurückzukehren und die Kunstgewerbeschule in Basel zu besuchen, um sich technische Fertigkeiten anzueignen. Dort knüpft sie Kontakte zur „Gruppe 33“ und zur Künstlervereinigung „Allianz“, der sie sich anschliesst. Bei einem erneuten kurzen Aufenthalt in Paris nach dem vorzeitigen Abbruch der Kunstgewerbeschule 1939 zeigt sie etliche Arbeiten anlässlich einer Ausstellung phantastischer Möbelentwürfe, an der unter anderen Leonor Fini und Max Ernst mit Werken vertreten sind. 1945 lernt Meret Oppenheim den Kaufmann Wolfgang La Roche kennen, den sie vier Jahre später heiratet und sich mit ihm in Bern niederlässt. Rückblickend auf jene Zeit wird sie konstatieren, dass ihr, „wenn es viel war, ein Bild pro Jahr gelungen“ sei. Ausser einigen Zeichnungen sind aus der Zeit bis 1954, als sie erneut ein Atelier bezieht und wieder regelmässig zu arbeiten vermag, kaum Werke erhalten; ihre Versuche in naturalistischer und abstrakter Malerei arbeitet sie unentwegt um oder zerstört sie gar.
Erst im Jahre 1956 schafft die Künstlerin nebst Arbeiten auf Papier auch wieder Objekte. Ein letztes Mal beteiligt sie sich an einer Ausstellung der Pariser Surrealistengruppe, von der sie sich in den Jahren zuvor distanziert hat: Mit der Inszenierung eines „Frühlingsfestes“ – ein auf einer nackten Frau bereitetes Mahl für drei Paare – realisiert sie ein Werk, das den Gestus des Fluxus und der Performancekunst antizipiert. Die 1967 vom Moderna Museet in Stockholm ausgerichtete Retrospektive initiiert die Wiederentdeckung Meret Oppenheims; im selben Jahr verstirbt Wolfgang La Roche. Bei der Verleihung des Basler Kunstpreises 1974 spricht die Künstlerin in ihrer Dankesrede über den „weiblichen Künstler“. Angeregt durch die analytische Psychologie Carl Gustav Jungs, mit der sie sich schon in ihrer Jugend {im Elternhaus} auseinandergesetzt hat – ihre Tante ist eine Zeitlang mit dem Jung nahe stehenden Schriftsteller Hermann Hesse verheiratet –, sowie die persönliche Erfahrung der Analyse, und befördert durch die Aktualität des Feminismus anfangs der 1970er Jahre entwickelt Oppenheim die Vorstellung von der „Androgynität des Geistes“. 1981 erscheinen unter dem Titel „Sansibar“ zwischen 1933 und 1957 entstandene Gedichte und Serigrafien, im nächsten Jahr folgt die Auszeichnung mit dem „Grossen Preis der Stadt Berlin“ und die Beteiligung an der Documenta 9 in Kassel. Das Erscheinen einer Monographie mit vollständigem Werkverzeichnis 1982, die Kontroversen um die Realisierung eines Brunnens auf dem Berner Waisenhausplatz sowie eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern im darauf folgenden Jahr manifestieren die Bedeutung von Meret Oppenheims Schaffen und machen die nun abwechslungsweise in Bern, Paris und Carona (Tessin) wohnhafte Künstlerin geradezu populär.
Vielfach als inkohärent oder gar beliebig kritisiert, faszinieren Oppenheims Arbeiten gerade wegen ihrer formalen und inhaltlichen Divergenz. Freilich ist keine im eigentlichen Sinne logisch-lineare Entwicklung des Formenvokabulars und der Themen zu erkennen, wohl aber lassen sich zwischen einzelnen Werken Rückgriffe und Selbstzitate, wie auch Bezüge eher assoziativer Natur ausmachen. So ist beispielsweise das Motiv des Todes und allgemeiner das Makabere in vielen Arbeiten präsent. Spontane Einfälle und Träume, die von der Künstlerin seit ihrem vierzehnten Lebensjahr protokolliert werden, finden ihren Niederschlag im Werk. Indem sie im Medium der Zeichnung wie selbstverständlich Text und Bild verbindet, in Objekten, Collage und Assemblage unterschiedlichste Materialien kombiniert und sich so – stärker noch als ihre künstlerischen Weggefährten des Surrealismus – inhaltlich wie formal über die traditionellen Gattungen hinwegsetzt, darf Meret Oppenheim gewissermassen als postmoderne Multimedia-Künstlerin „avant la lettre“ gelten. Sie stirbt, 72-jährig, am 15. November 1985 in Basel.
Isabel Fluri
Die Pelztasse wird nicht nur schlagartig zu einer Ikone des Surrealismus und zur eigentlichen „Etikette“ der Künstlerin selber, ihr Datum markiert auch den Beginn einer langjährigen Schaffenskrise, die bis in die späten 1950er Jahre andauern wird. Finanzielle Schwierigkeiten, zunehmende Selbstzweifel und Arbeitshemmungen veranlassen Meret Oppenheim, in die Schweiz zurückzukehren und die Kunstgewerbeschule in Basel zu besuchen, um sich technische Fertigkeiten anzueignen. Dort knüpft sie Kontakte zur „Gruppe 33“ und zur Künstlervereinigung „Allianz“, der sie sich anschliesst. Bei einem erneuten kurzen Aufenthalt in Paris nach dem vorzeitigen Abbruch der Kunstgewerbeschule 1939 zeigt sie etliche Arbeiten anlässlich einer Ausstellung phantastischer Möbelentwürfe, an der unter anderen Leonor Fini und Max Ernst mit Werken vertreten sind. 1945 lernt Meret Oppenheim den Kaufmann Wolfgang La Roche kennen, den sie vier Jahre später heiratet und sich mit ihm in Bern niederlässt. Rückblickend auf jene Zeit wird sie konstatieren, dass ihr, „wenn es viel war, ein Bild pro Jahr gelungen“ sei. Ausser einigen Zeichnungen sind aus der Zeit bis 1954, als sie erneut ein Atelier bezieht und wieder regelmässig zu arbeiten vermag, kaum Werke erhalten; ihre Versuche in naturalistischer und abstrakter Malerei arbeitet sie unentwegt um oder zerstört sie gar.
Erst im Jahre 1956 schafft die Künstlerin nebst Arbeiten auf Papier auch wieder Objekte. Ein letztes Mal beteiligt sie sich an einer Ausstellung der Pariser Surrealistengruppe, von der sie sich in den Jahren zuvor distanziert hat: Mit der Inszenierung eines „Frühlingsfestes“ – ein auf einer nackten Frau bereitetes Mahl für drei Paare – realisiert sie ein Werk, das den Gestus des Fluxus und der Performancekunst antizipiert. Die 1967 vom Moderna Museet in Stockholm ausgerichtete Retrospektive initiiert die Wiederentdeckung Meret Oppenheims; im selben Jahr verstirbt Wolfgang La Roche. Bei der Verleihung des Basler Kunstpreises 1974 spricht die Künstlerin in ihrer Dankesrede über den „weiblichen Künstler“. Angeregt durch die analytische Psychologie Carl Gustav Jungs, mit der sie sich schon in ihrer Jugend {im Elternhaus} auseinandergesetzt hat – ihre Tante ist eine Zeitlang mit dem Jung nahe stehenden Schriftsteller Hermann Hesse verheiratet –, sowie die persönliche Erfahrung der Analyse, und befördert durch die Aktualität des Feminismus anfangs der 1970er Jahre entwickelt Oppenheim die Vorstellung von der „Androgynität des Geistes“. 1981 erscheinen unter dem Titel „Sansibar“ zwischen 1933 und 1957 entstandene Gedichte und Serigrafien, im nächsten Jahr folgt die Auszeichnung mit dem „Grossen Preis der Stadt Berlin“ und die Beteiligung an der Documenta 9 in Kassel. Das Erscheinen einer Monographie mit vollständigem Werkverzeichnis 1982, die Kontroversen um die Realisierung eines Brunnens auf dem Berner Waisenhausplatz sowie eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern im darauf folgenden Jahr manifestieren die Bedeutung von Meret Oppenheims Schaffen und machen die nun abwechslungsweise in Bern, Paris und Carona (Tessin) wohnhafte Künstlerin geradezu populär.
Vielfach als inkohärent oder gar beliebig kritisiert, faszinieren Oppenheims Arbeiten gerade wegen ihrer formalen und inhaltlichen Divergenz. Freilich ist keine im eigentlichen Sinne logisch-lineare Entwicklung des Formenvokabulars und der Themen zu erkennen, wohl aber lassen sich zwischen einzelnen Werken Rückgriffe und Selbstzitate, wie auch Bezüge eher assoziativer Natur ausmachen. So ist beispielsweise das Motiv des Todes und allgemeiner das Makabere in vielen Arbeiten präsent. Spontane Einfälle und Träume, die von der Künstlerin seit ihrem vierzehnten Lebensjahr protokolliert werden, finden ihren Niederschlag im Werk. Indem sie im Medium der Zeichnung wie selbstverständlich Text und Bild verbindet, in Objekten, Collage und Assemblage unterschiedlichste Materialien kombiniert und sich so – stärker noch als ihre künstlerischen Weggefährten des Surrealismus – inhaltlich wie formal über die traditionellen Gattungen hinwegsetzt, darf Meret Oppenheim gewissermassen als postmoderne Multimedia-Künstlerin „avant la lettre“ gelten. Sie stirbt, 72-jährig, am 15. November 1985 in Basel.
Isabel Fluri