Sonja Sekula – einziges Kind von Béla und Berta Sekula – wird am 8. April 1918 in Luzern geboren. Ihr Vater ist ein erfolgreicher Briefmarkenhändler aus Ungarn und ihre Mutter stammt aus der bekannten Luzerner Café- und Confiserie-Dynastie Huguenin. In grossbürgerlichen Verhältnissen aufwachsend besucht sie Schulen in Luzern wie auch Internate in Zuoz oder Ftan, verlässt diese jedoch ohne Abschlussexamen.
Bereits mit zehn Jahren verfasst Sekula Gedichte und beginnt im Teenageralter mit tagebuchähnlichen Aufzeichnungen. 1934 bis 1936 studiert sie Kunst und Malerei in Ungarn und Italien. Ende Juni 1936 löst die Familie den Haushalt in Luzern auf und übersiedelt nach New York. Von französischer Literatur fasziniert und dem Schreiben stets verbunden liest Sekula Gedichte von Rimbaud, Lautréamont und Breton. In Amerika erhält sie von dem mit ihrer Familie befreundeten Maler George Grosz Privatunterricht und beginnt ein Studium am renommierten Sarah Lawrence College in Bronxville. Sie studiert Kunst bei Kurt Roesch, Literatur beim Schriftsteller Horace Gregory sowie Philosophie. Aufgrund eines Nervenzusammenbruchs 1939 bricht sie die Ausbildung ab. 1941 verlässt sie die Klinik und beginnt an der Students League in New York ein Kunststudium. Die Schule, an der einst Pollock und Rothko studierten, ist für ihre moderne, unabhängige und avantgardistische Haltung bekannt. Sekula belegt die «modernist class» bei Morris Kantor. Schnell findet sie Zugang zu einem internationalen Kreis von KünstlerInnen und erlebt die frühe Entwicklung des amerikanischen abstrakten Expressionismus. André Breton, zentrale Persönlichkeit der Surrealisten, trifft 1941 in New York ein und bildet zusammen mit anderen Künstlern wie Max Ernst, Roberto Matta, Yves Tanguy oder André Masson eine Surrealistengruppe, die sich – vom Kubismus befreiend – dem kreativen Prozess des Automatismus zuwendet. Ebenso entwickeln die Surrealisten starkes Interesse an primitiven und indianischen Kulturen.
Engeren Kontakt findet Sekula zu Breton und seiner Frau, wie auch zu Matta und Motherwell. In den USA entdeckt sie das literarische Werk der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein, deren klare Sprache mit ihren kompromisslosen Sätzen und dem begrenzten Vokabular Sekula fasziniert. In ihren englischen Texten versucht sie diesen improvisierten Stil anzuwenden. In der Malerei hingegen beginnt die Künstlerin Abstraktes mit Figurativem zu verbinden und entlehnt die intensive Farbgebung der indianischen Volkskunst. Nebst Gemälden entstehen Zeichnungen, die – weg von der Abstraktion – narrative und bildliche Elemente vereinen. Die assoziative, bildnerische und sprachliche Formulierung Sekulas entspricht den Surrealisten. In der von Breton und Duchamp initiierten Zeitschrift «VVV» veröffentlicht sie erstmals eine Zeichnung und einen Text.
Langsam treten erste Erfolge ein: 1943 zeigt sie in der Ausstellung «31 Women» gemeinsam mit anderen Künstlerinnen wie Meret Oppenheim, Sophie Taeuber-Arp oder Frida Kahlo Arbeiten in Peggy Guggenheims «Art of this Century»; sie nimmt im selben Jahr zusammen mit Pollock, Motherwell, Ad Reinhardt u.a. an der Gruppenausstellung «Spring Salon for the Young Artists» teil; im Jahr 1945 ist sie bei Guggenheim in der Ausstellung «The Women» vertreten; 1946 folgt ihre erste Einzelausstellung mit den «night paintings», in denen sie mit Schwarz experimentiert. In dieser Zeitspanne entstehen die Gemälde «Un jeu» (KML 520x) oder «African Moonsun» (KML 87.54x). Während einer ihrer Aufenthalte zwischen 1945 bis 1947 in Mexico und New Mexico begegnet die homosexuelle Sekula der Malerin Alice Rahon Paalen, in die sie sich verliebt, aber von der sie auch künstlerisch stark beeindruckt ist. Rahon widmet sich der Technik der negativen Darstellung – dem Einkratzen von Linien in dunklem Malgrund. Diese Kratztechnik, die sich bereits bei Keramiken primitiver Völker findet, verwendet auch Sekula. Zudem tritt in ihren mit persönlich-willkürlicher Symbolik versehenen Arbeiten mehr und mehr eine das Bild kommentierende oder auch strukturierende Schrift bzw. Text in Englisch, Französisch oder Deutsch auf. Es entstehen ausserdem eine Reihe aquarellierter Zeichnungen mit dem Motiv der New Yorker Stadtlandschaft, in denen die Farbe Gelb vorherrscht.
Dem Surrealismus gegenüber übt Sekula zunehmend Kritik, denn sie glaubt nicht an die kreative Gruppenaktivität, Malerei bedeute physische Selbstbehauptung. Das Surrealistische im Schreiben entspricht ihr mehr. Als Betty Parson die Künstlerin 1947 unter Vertrag nimmt beginnt für Sekula eine produktive und erfolgreiche Schaffenszeit. Sie präsentiert ihre Arbeiten in Einzelausstellungen, bewegt sich im Umkreis der jungen abstrakten Expressionisten und knüpft Freundschaft mit ihren Nachbarn John Cage und Merce Cunningham. Dieser kreative und erfolgreiche Höhepunkt ihres Schaffens wird 1951 jäh unterbrochen als Sekula erneut einen psychischen Zusammenbruch erleidet. Der Mangel an Ideen wie auch die Zunahme psychischer Krisen häufen sich in den 1950er Jahren; in ihrer Arbeit verstärkt sich das Thema der Selbstbefragung und -reflexion, insbesondere in der Schriftstellerei. Dennoch stellt sie 1952 erstmals ihre Scratchboards aus, auf deren schwarzen Tuschgrund sie Zeichnungen einkratzt. Mit diesen Skizzenbüchern – Hefte mit einer Folge loser, teils beschriebener oder bezeichneter Blätter – entwickelt sie eine neue Arbeitsform. Nach mehreren Klinikbesuchen zieht Sekula im Jahr 1955 endgültig mit ihren Eltern zurück in die Schweiz. Zusehends tritt die Malerei zugunsten von Skizzen- und Tagebucheinträgen in den Hintergrund. In ihrem Spätwerk setzt sie sich mit indischer und japanischer Philosophie sowie der japanischen Haiku-Lyrik auseinander, fertigt kleinformatige Collagen sowie gestische Ölmalereien auf Papier an. In der Schweiz ist die Künstlerin unglücklich: Sie findet keinen Anschluss an die Kunstwelt, auch Galerien interessieren sich nicht für ihre Arbeiten. 1961 präsentiert Sekula ihr unkonventionellstes Werk, die «Meditationsschachteln» bzw. «Meditation Boxes» (KML 2005.27w). Dabei handelt es sich um bemalte, beschriftete, mit Steinchen und Zettelchen gefüllte Streichholzschachteln.
Sonja Sekula zählt heute zu den bedeutendsten Schweizer Künstlerinnen. Im Jahr 1996 realisierte das Kunstmuseum Winterthur die Ausstellung «Sonja Sekula. 1918–1963» und feierte damit ihre Wiederentdeckung. Das Werk der in Luzern geborenen Malerin und Schriftstellerin offenbart sich als vielschichtig und komplex. Sekula versteht ihre Vorgehensweise als einen mit Freiheit gleichzusetzenden experimentellen wie auch stilkritischen Prozess, und ihre Arbeit ist stark, insbesondere in der letzten Schaffensphase, von autobiografischen und existentiellen Zügen geprägt. Fragen des «Frau-Seins» beschäftigen die Künstlerin zeitlebens, wobei die in New York der 40er Jahre erlebte Akzeptanz der weiblichen Kreativität sowie die in der Schweiz erfahrene Ausgrenzung eine zentrale Rolle spielen. Am 25. April 1963 wählt sie in Zürich den Freitod.
Barbara Hatebur
Aarau, Aargauer Kunsthaus (Ausst.-Kat.), Dunkelschwestern. Annemarie von Matt - Sonja Sekula, hrsg. von Roman Kurzmeyer und Roger Perret, mit Texten von Angelika Overath (et al.), Zürich: Verlag Scheidegger & Spiess AG, 2008
Altorfer, Sabine, "Menu Surprise im Multipack", in: Aargauer Zeitung, 26.01.2008, S. 9-11
Sonja Sekula. Im Zeichen der Frage, im Zeichen der Antwort. Ausgewählte Texte und Wortbilder auf deutsch, englisch und französisch (1934–1962), hrsg. und mit einem Essay versehen von Roger Perret, Basel: Lenos Verlag, 1996
Sekula, Sonja, "Texte und Wortbilder. Fragments of Letters to Endymion", in: Die Affenschaukel, Nr. 16, 1992, S. 28-35
"Sonja Sekula", in: Die Affenschaukel, Nr. 16, 1992, S. 36-67
Bolliger, Max, "Chinesische Prinzessin", in: Die Affenschaukel, Nr. 16, 1992, S. 26-27
Perret, Roger, ""Auf Bedeutungsjagd, auf Bedeutungsflucht"", in: Die Affenschaukel, Nr. 16, 1992, S. 4-25
Kneubühler, Theo, "Aus dem Kunstmuseum Luzern. Sonja Sekula: 'Da-seins-Uebung', 1985, Gouache, 20 x 14,8 cm", in: Vaterland, Nr. 102, 03.05.1975, S. unpaginiert