Christian Denzler, geboren am 14. Dezember 1966 in Winterthur, besucht das städtische Gymnasium Kirchenfeld in Bern. Bereits während seiner Gymnasialzeit stellt Denzler erste Zeichnungen her und schreibt sich nach der Matur für das Architektur-Studium an der ETH Zürich ein, das er 1993 abschliesst. Als Architekturstudent beschäftigt Denzler sich erstmalig mit der Malerei, und lernt seine Freundin Barbara Boschung kennen, die ihn partiell bei der Umsetzung künstlerischer Ideen unterstützt. Trotz Verlegung seines Wohnsitzes nach Zürich reisst der Kontakt zu Bern nicht ab, wodurch Denzler in Toni Gerber seinen ersten Galeristen und frühen Förderer findet. Ab den 1990er Jahren erhält er für sein Schaffen mehrere Kunststipendien, wie den Werkbeitrag Stadt und Kanton Bern (1996), das eidgenössische Stipendium des Istituto Svizzero in Rom (1999) sowie den Aeschlimann-Corti-Hauptpreis (2006). Diese institutionellen Förderbeiträge bringen eine rege Ausstellungstätigkeit in der Schweiz, aber auch im Ausland (Italien, Niederlanden, Belgien, USA) mit sich. Seit 1995 bildet Brüssel Denzlers Arbeits- und Lebensmittelpunkt.
Innerhalb der künstlerischen Tätigkeit Denzlers ist eine gleichrangige Auffassung von Zeichnung und Malerei im Sinne einer autonomen Bildtechnik feststellbar. Seine Bleistift-, Tusch- oder Fettkreide-Arbeiten sind keineswegs als Formulierung einer „prima idea“ oder als Studie für ein Gemälde zu verstehen, sondern als eigenständige Kunstwerke. Motivisch gesehen richtet Denzler das Hauptaugenmerk in beiden Medien auf Figuren respektive Körperpartien.
Seine Mitte der 1980er bis Anfang der 1990er Jahren angefertigten Werke, insbesondere seine Gemälde, zeigen stilisierte, überwiegend weibliche Gestalten, die sich oftmals über mehrere Leinwände erstrecken. Die Figuren(-gruppen) setzen sich aus wenigen, präzise gezogenen Linien zusammen. Bei der farblichen figuralen Ausgestaltung wählt Denzler bevorzugt ein stumpfes Blau, ein erdiges Rot und ein tiefes Schwarz, während die Hintergründe in einem gebrochenen Gelb gehalten sind. Durch ihre einfache Komposition und Flächigkeit haftet Denzlers Darstellungen von Frauenfiguren etwas Schablonenähnliches an. Als wichtige Ausstellungsplattformen dieser frühen Arbeiten erweisen sich die Räumlichkeiten Gerbers an der Gerechtigkeitsgasse 74 sowie die im Jahr 1992 durch Denzler und dessen Freund Michael Krethlow in einer ehemaligen Garage in der Berner Altstadt gegründeten Galerie „Kabinett“.
Im gleichen Jahr der „Kabinett“-Eröffnung schafft Denzler eine Arbeit mit halböffentlichem und installativem Charakter. In einem ungenutzten Schaufenster der Gerber’schen Galerie präsentiert der Künstler wöchentlich alternierend mehrere Fahnen (vgl. KML 2009.1x und 93.82x–93.87x). Sie zeigen Schweizer Symbole oder aus unterschiedlichen Kontexten entnommene, geläufige Sätze, welche jedoch einer unterschiedlich starken Veränderung unterzogen werden, mit dem Ziel, die Passanten zu provozieren.
Mit dem Umzug in die belgische Hauptstadt geht in Denzlers Gemälden und Zeichnungen eine unübersehbare bildsprachliche Veränderung einher. Er verabschiedet sich schrittweise von einer geometrischen Ästhetik und experimentiert stärker mit der sinnlichen Wirkung der Ölfarbe und des Bleistiftes.
Im Gegensatz zu seinen frühen Blättern, in denen Denzler Figuren grösstenteils mit einem einzigen Strich festhält, legt Denzler nun sorgfältig Schicht für Schicht Bleistiftlinien auf das Papier und lässt auf diese Weise – ohne jedoch einer allzu realistischen Wiedergabe zu verfallen – organische Formen, wie Bauchnabel, Brüste, Rüssel, Schösse oder Haarscheitel, wachsen. Aufgrund der zarten Modellierung entsteht die Illusion von weichen Körpern, die sich wölben und vertiefen. Nebst diesen tendenziell eher kleinformatigen Zeichnungen, welche 1998/1999 in einer monographischen Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn zu sehen sind, schafft Denzler auch „Wandtapeten“. Dabei handelt es sich um im Xeroxverfahren vergrösserte und auf Papierbahnen kopierte Handzeichnungen. Die eigens für Ausstellungsräume geschaffenen Wandbilder erinnern aufgrund ihrer gitterartigen Struktur an übergrosse florale Flechtwerke.
Kurz vor dem Jahrtausendwechsel wendet sich Denzler von der Malerei ab – ein letztes Gemälde mit dem Bildnis eines Knaben entsteht im Rahmen seines Aufenthaltes am Istituto Svizzero –, um sich intensiv dem Zeichnen zu widmen und neue künstlerische Medien zu erproben. In der Zeitspanne von 2002 bis 2003 entsteht eine Reihe von Lithographien, die Porträts und – ähnlich seiner Zeichnungen – quasiorganische Formen zeigen. Weil ihm der Aspekt der raschen Entstehung respektive der Vervielfältigung eines Kunstwerkes zuwiderläuft, verfolgt Denzler die Beschäftigung mit dem druckgraphischen Medium nicht weiter. Im Sommer 2003 fertigt Denzler eine skulpturale Gruppe aus Ton mit dem Titel „Viecher“ (vgl. KML 2009.2w und 2009.3w), welche im darauffolgenden Jahr in Krethlows Berner Galerie zu sehen ist.
Im jüngsten zeichnerischen Werkzyklus, wovon neun Blätter 2007 in der New Yorker Galerie Rivington Arms präsentiert werden, setzt sich Denzler mit der Gattung des Porträts auseinander. Als Vorlage dienen ihm auf Flohmärkten erworbene Fotografien längst verstorbener und anonymer Menschen, welche er akribisch ins zeichnerische Medium übersetzt. Die Linien seiner Zeichnungen sind derart fein ausgeführt, dass der Betrachter den Eindruck erhält, die dargestellten Personen würden gleich wieder dem Papier entschwinden. Diesem Moment des Auftauchens und gleichzeitigen Verschwindens, diesem rezeptiv seltsam anmutenden Zwischenraum des Wahrnehmens und Nicht-Wahrnehmens gilt Denzlers künstlerisches Interesse.
Cathrine Fassbind
Solothurn, Kunstmuseum (Ausst.-Kat.), Christian Denzler: Zeichnungen 1997/1998, mit einem Text von Christoph Vögele, St. Gallen/Appenzell: Galerie Agathe Nisple, 1998