Der amerikanische Künstler Paul Thek wird am 2. November 1933 in Brooklyn, New York geboren und wächst dort als Sohn irisch-katholischer Eltern auf. In den Fünfziger Jahren besucht er diverse Kunstschulen in New York, bringt sich danach mit Gelegenheitsjobs durch und bestreitet 1957 in Miami seine erste Ausstellung. Die künstlerisch prägende Phase beginnt jedoch erst mit seinem ersten Aufenthalt in Europa. 1962 reist er zuerst nach Norwegen und in die Niederlande, danach lässt er sich in Italien nieder. Das Schlüsselereignis, das seine Kunst in eine neue Richtung lenkt, ereignet sich beim Besuch der Katakomben in der Nähe von Palermo im Jahre 1963. Die Begegnung mit den toten Körpern bringt ihn dazu, sich von der Malerei der Arbeit mit dem menschlichen Körper zuzuwenden. Er beginnt aus Wachs geformte Objekte herzustellen, die wie rohe Fleischstücke oder abgeschnittene Gliedmassen aussehen und präsentiert sie in eigens dazu hergestellten Plexiglaskästen ("Technological Reliquiaries").
Was ihn aber auf die Dauer noch stärker interessiert als das einzelne, autonome Kunstobjekt sind drei Dinge: die Idee des Prozesses, d.h. des offenen, sich weiterentwickelnden, vergänglichen Kunstwerkes, die künstlerische Arbeit im Team und die installative Vereinnahmung des Museumraumes. Erste raumreifende Arbeiten sind Theks „Tomb“ (Stable Gallery 1967) sowie sein „Fishman“, ein Ganzkörper-Latexabguss, den er erstmals 1969 in Amsterdam anfertigt. Die prozesshafte Arbeit wird durch ein weiteres Schlüsselereignis eingeleitet: Als Thek 1968 eine Ausstellung mit seinen Fleischstücken in der Galerie Thelen in Essen vorbereitet, kommen diese beschädigt an. Anstatt die Ausstellung jedoch abzusagen, beginnt er die Objekte zu restaurieren und integriert diesen Arbeitsprozess in die Ausstellung. Es entsteht eine Ausstellung, die in konstanter Veränderung begriffen ist.
1969 beginnt mit dem Environment „The Procession/The Artist’s Co-op“ im Stedelijk Museum Amsterdam seine wichtigste, auf der Idee des Prozesses aufbauende Ausstellungenstour. Sie findet seine ihre Fortsetzung in der Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm, wo Thek erstmalig eine grössere Entourage an Gleichgesinnten in den Arbeitsprozess mit einbezieht. Nach der documenta 5 in Kassel 1972 findet sie auf Einladung von Jean-Christophe Ammann 1973 unter dem Namen „Ark, Pyramid, Easter – A Visiting Group Show" im Kunstmuseum Luzern 1973 einen vorläufigen Abschluss.
Thek beginnt danach, in Bronze zu arbeiten. 1977 erfolgt seine erste grosse Überblicksausstellung in Philadelphia (Paul Thek/Processions, Institute of Contempoary Art), für die auch ein neues Environment entsteht. Trotzdem verkaufen sich seine Arbeiten schlecht und er nimmt zeitweilig Gelegenheitsjobs an. Der Künstler wird vereinzelt zu Gruppenausstellungen in Europa und Amerika eingeladen und 1985 als Vertreter der Vereinigten Staaten an die Biennale nach São Paulo geschickt. Kurz vor seinem Aids-Tod 1988 will Thek seinem langgehegten Wunsch nachkommen und in ein Kloster eintreten, was jedoch nicht mehr zu Stande kommt. Seine letzten Galerien-Ausstellungen in New York werden von weiteren Einladungen zu Ausstellungen begleitet, die er jedoch nicht mehr realisieren kann.
Sylvia Rüttimann
Briegleb, Till, "Kunst ohne Heilung", in: Art. Das Kunstmagazin, 01/2008, S. 74-80
Wittmann, Philipp, Paul Thek. Vom Frühwerk zu den "Technologischen Reliquiaren". Mit einem Verzeichnis der Werke 1947-1967, Friedland: Claus Bielefeld Verlag, 2004
Cotter, Holland, "A Document Made by Paul Thek and Edwin Klein’, in: The New York Times, 20. Dez. 2002", in: The New York Times, 20. Dezember 2002,
Wien, Kunsthalle Wien (Ausst.-Kat.), Eine barocke Party. Augenblicke des Welttheaters in der zeitgenössischen Kunst: Dinos und Jake Chapman, Wim Deloye, Ulrike Grossharth, Yvonne Rainer, Sam Taylor-Wood, Paul Thek, Wien: Kunsthalle Wien, 2001
Maier, Anne, "Give Love, not Advice", in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, München: Weltkunst und Bruckmann, Ausgabe 46, Heft 15, 1999, S. 3-16
Oberholzer, Niklaus, "Papier und Bleistift - oder mehr?", in: Neue Luzerner Zeitung, Nr. 252, 31. Oktober 1998, S. 50
Wittmann, Philipp, "Paul Thek und die ars moriendi. Das „heißeste Thema“ der Kunst’", in: Kunst und Kirche, Bd. 4, 1997, S. 214-216
Braun, Alexander, "Die wunderbare Welt des Paul Thek", in: Kunstforum International, Bd. 132, 1996, S. 229-253
Morgan, Stuart, "Paul Thek: The Man Who Couldn’t Get Up", in: Frieze, Bd. 24, 1995, S. 46-51
Braun, Alexander, "Paul Thek. Silence. Silence. Silence", in: Artis, Bd. 47, 1995/96, S. 56-61
Rotterdam, Museum Witte de With (Ausst.-Kat.), Paul Thek: The Wonderful World that Almost Was, mit Texten von Ann Wilson, Harald Szeemann, Richard Flood, Marietta Franke und Holland Cotter, Rotterdam: Museum Witte de With, 1995
Armstrong, Elizabeth, "Paul Thek. Witte De With Rotterdam", in: Artforum, Bd. 11, 1995, S. 86-87.
Franke, Marietta, Work in Progress - Art is Liturgy. Das historisch-prozessuale und betrachterbezogene Ausstellungskonzept von Paul Thek, Frankfurt, Bern: Peter Lang, 1993 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 28, Kunstgeschichte, Bd. 164)
Kelley, Mike, "Tod und Erklärung. Ein Brief aus Amerika", in: Texte zur Kunst, Bd. 2, 1992, S. 43-49.
Turin, Castello di Rivara (Ausst.-Kat.), Paul Thek, hrsg. von Daniel Buchholz, mit Texten von Jean-Christophe Ammann, Mike Kelley und Gregorio Magnani, Turin: Castello di Rivara, 1992
Cotter, Holland, "Paul Thek. Frei sein von jeglicher Verdorbenheit. Gelobt sei der Herr - PAUL THEK", in: Parkett, Bd. 27, 1991, S. 130-136
Cotter, Holland, "Thek’s Social Reliquaries", in: Art in America, Bd. 6, 1990, S. 132-142, 195-97, 205
Luzern, Kunstmuseum Luzern (Slg.-Kat.), Kunstmuseum Luzern. Sammlungsbilanz 11 Jahre - 1117 Werke - 211 Künstler und Künstlerinnen, Ergänzungsband 2 zum Sammlungskatalog, hrsg. von Martin Kunz, Luzern: Kunstmuseum Luzern, 1989